Seit uralten Zeiten hielten die Menschen Prozessionen, Bitt- und Kreuzgänge ab. Sie beteten um gutes Gedeihen der Pflanzen und Tiere, daß Gott Mensch und Tier gesund erhalte und sie und ihre Siedlungen von Elementarschäden bewahre. Vielfach löste man durch solche Kreuzgänge Versprechungen nach Rettung von Pest, Tierseuche, Unwetter u.dgl. ein.
Zur bedeutendsten und wahrscheinlich auch zur ältesten Prozession
zählt die Fronleichnamsprozession.
Das ,,Fest des Leibes Christi`` - das ist die liturgische Bezeichnung
des Fronleichnamstages - ordnete 1264 Papst UrbanIV, ehemals
Erzdiakon in Lüttich, für die gesamte lateinische Kirche an. Bald
darauf erhielt die Feier des Tages durch die Prozession eine besondere
Aufwertung (in Köln schon im Jahre 1279). Im 14.Jahrhundert errichteten
die Gläubigen, nach den vier Himmelsrichtungen orientiert, vier Altäre
und ein Priester las bei ihnen den Anfang der vier Evangelien. So
erhielt die Fronleichnamsprozession schon früh ihre heutige Form.
In unserem Lande ist der hohe Festtag mit Umgang angeblich seit dem 15.Jahrhundert gebräuchlich. Nach Tinkhauser feierten die Inzinger 1627 den Fronleichnamstag mit einer Prozession; sicherlich aber gab es schon in vorangegangenen Jahren an diesem Feste einen feierlichen Umzug.
Wenn auch heute die Prozession nicht mehr so bedeutsam genommen wird
wie einst, so findet sie bei den Dorfbewohnern doch noch eine bewegte
Anteilnahme. Getragenes Geläute der Glocken, Böllern, Salven der Schützen,
Spiel der Musikkapelle, Gesang des Kirchenchores und des Volkes, Blumen
streuende Mädchen in weißen Kleidern (Erstkommunikanten), ,,Fargelenträger``, Männer mit den mächtigen Bündnisfahnen (trotz
großer Behinderung durch Leitungsdrähte), Gras- und Blumenteppiche
vor den Altären, am Rande der Straße stehende ,,Maielen``
, festlich gekleidete Menschen und bunte Trachten geben der Prozession
ein feierliches Gepräge.
Vor vielen Jahrzehnten gingen die Teilnehmer nach Bünden geordnet (Männer- und Jünglingsbund, Frauen- und Jungfrauenbund) geschlossen mit. Den Bünden voran trug man außer den Fahne auch das Laberum.
Das Laberum war eine kleine Platte. Sie war auf einer Stange befestigt und zeigte auf beiden Seiten Heiligenbilder. Auf dem Männerlaberum waren der hl.Josef und auf der anderen Seite der hl.Joachim und die hl.Anna dargestellt. Auf dem ,,Weiberlaberum``, so nannte man es, waren auf der Vorderseite die hl.Anna und gegenüber Jungfrau Maria gemalt. Welche Abbildung das ,,Buabn- und Madlalaberum`` aufwiesen, ist mir nicht bekannt. Auch im Leichenzug wurde vor einigen Jahren noch das für den Toten zutreffende Laberum mitgetragen. Niemand weiß, wo die Labera jetzt stehen.
Die Bündnisse sind heute zwar aufgelöst, aber ihre Fahnen werden bei den großen Prozessionen immer noch mitgetragen; es sind die rote ,,Baschtlerfuhn``, die Fahne des Frauenbundes, die blaue ,,Buabnfuhn`` (Jünglingsbund) und die gelbe ,,Zieglstadlerfuhn`` (Männerbund). Die Baschtlerfahne ist die schwerste und gehörte dem Jungfrauen oder Madlabund. Nach alter Überlieferung soll die Bastler Trina die Fahne gespendet haben. Die Ziegelstadler haben einen wesentlichen Anteil an der Beschaffung der Fahne des Männerbundes; sie wird daher nach ihnen benannt. Da die Fahnenstangen geleimt und biegsam ist, ist sie am schwersten zu handhaben. In früheren Zeiten mußten die Fahnenträger ledige Männer sein.
Die Prozession nimmt seit den fünfziger Jahren folgenden Weg: Pfarrkirche,
Kirchgasse, Salzstraße, Jugendheim (Salzstraße 20; 1.Evangelium),
Schretterweg, Jörg Köldererweg, Bahnstraße, Sportgeschäft Kirchmair
(Bahnstraße 20; 2.Evangelium), Angerweg, Hube, Bauernhaus Gastl
(Hube 2; 3.Evangelium), Hauptstraße, Dorfplatz (Haus Schlierenzauer,
Hauptstraße 1; 4.Evangelium), Kirchgasse, Kirche.
Mit derselben Feierlichkeit nehmen die Herz-Jesu-Prozession und der Umzug am Rosenkranzsonntag (1.Sonntag im Oktober) den gleichen Weg. Am Herz-Jesu-Sonntag zeigen die Altäre einfacheren Schmuck. Die Prozession am Rosenkranzsonntag wird nachmittags gehalten; Altäre und Evangelium fehlen.
Vor dem Ersten Weltkrieg kamen zum Rosenkranzumgang viele Gläubige aus der Umgebung. Hernach trafen sie sich mit Freunden und Verwandten bei Bier und Wein, plauderten miteinander oder lauschten dem Konzert der Musikkapelle. Seither, besonders in den letzten Jahren, ist der Besuch aus den Nachbardörfern abgeflaut. Heute werden den Menschen immer mehr Belustigungen aller Art geboten, die sie mit ihren Autos auch in entfernteren Orten ,,genießen`` können.
Am Ostersonntag, Pfingstsonntag
und am 15.August sind kleine Prozessionen. Die Gläubigen gehen durch die Kirchgasse zum Dorfplatz und von da
durch Kohlstatt, Krippenweg und Friedhof zur Kirche zurück. Scherzhaft
werden diese Umgänge ,,Fritzen-Pangert-Prozessionen`` genannt;
das von den erwähnten Gassen umgrenzte Grundstück war früher ein großer
zusammenhängender Pangert, der zum Anwesen Fritz (Salzstraße 1) gehörte.
Diese Umgänge wurden nachmittags nach dem Gottesdienst abgehalten.
Nun finden sie schon mehrere Jahre vormittags nach dem feierlichen
Amte statt. Dabei geht nur die Musikkapelle im Zuge mit, andere Organisationen
treten nicht geschlossen auf.
Kreuzgänge gab es in alten Zeiten öfters als heute. Manche erstreckten
sich über große Entfernungen. Die Inzinger gingen bis nach Kaltenbrunn.
Dazu benützten sie den Weg durch Pitztal über Wenns und Piller Höhe
ins Kaunertal. Man erzählt sich noch heute, daß es dabei zu mancherlei
Unfug kam. Die Teilnahme ließ nach und schließlich wurde der Kreuzgang
ganz eingestellt.
Auf Wallfahrten hielten die Menschen in alten Zeiten sehr viel. Beliebte Wallfahrtsstätten für die Inzinger waren außer Kaltenbrunn, Maria Waldrast, Absam und Locherboden. Wer nach Maria Einsiedl ging, was nach Aussage alter Leute, gar nicht so selten vorkam, war 10 bis 12 Tage unterwegs.
Meist gingen die Leute barfuß. Die Wegzehrung war einfach; bei weiten Strecken nahmen die Wallfahrer gerne ein ,,Brennich`` (Einbrenne) mit.
Eine Wallfahrt um die Jahrhundertwende hat mir Herr Anton Schatz (Kohlstatt 35), 89 Jahre alt, geschildert:
,,Meine Eltern (Josef Schatz und Anna Löffler) und wir zehn Kinder (7 Mädchen und 3 Buben) gingen alljährlich nach Absam wallfahrten. Am vorhergehenden Tag buk die Mutter einen Guglhupf, Krapfen und Kiachln als Wegzehrung und Vater besorgte einen Ochsen, den er meist vom Mitter Müller auslieh.
Am frühen Morgen des nächsten Tages brachte die Mutter in einem großen Reiter (Sieb) das Gebäck vom Vortag und legte ihn in die Mitte des Leiterwagens, der uns nach Absam bringen sollte. Dazu stellte sie eine Kanne Milch und wir Kinder hockten uns links und rechts davon in den Wagen. Unterdessen spannte der Vater den Ochsen an. Dann gings zwischen 4 und 1/2 5 Uhr früh durch die Kohlstatt und auf der Salzstraße gegen Zirl.
Bei der Steigung vor dem Zirler Dorf mußten wir absteigen, hinter dem Wagen gehen und singen. Auf der Höhe angelangt, konnten wir wieder aufsitzen und nun gings gemächlich bis Meilbrunnen. Da hieß es wieder ,,runter`` vom Wagen. Ich mußte den Ochsen führen und meine beiden älteren Brüder mit den Schwestern hinter dem Wagen gehen und vorbeten. So verlief die Fahrt bis Absam kurzweilig; zwischen Beten, Singen und Essen gab es allerhand zu erzählen über das, was wir während der Fahrt beobachteten. Um 9 bis 10 Uhr vormittags erreichten wir unser Ziel.
Sobald wir Ochs und Wagen versorgt hatten, ging es in die Kirche. 2 bis 3 Stunden blieben wir im Gotteshaus, eine lange Zeit!
Doch dann kam für uns Kinder der Höhepunkt des Tages, wir kehrten in das nahe gelegene Gasthaus, zum Bogner, ein. Hier gab es Kaffee, manchmal Suppe oder Würsteln; alles war willkommen.
Auf der Heimfahrt rasteten wir in Kranebitten; auch hier erhielten wir Kaffee. Wenn wir dann abends Zirl erreichten, mußten wir wieder singen. Die Zirler kannten uns schon. 'Aha, die Såeler kemmen', hieß es. Bei Dunkelheit, müde und schläfrig, kammen wir zwischen 9 und 10 Uhr abends daheim an.
Wir Kinder freuten uns das ganze Jahr auf diesen Tag. Erst als meine älteren Brüder zum Militär einrückten (1909), unterblieben diese Wallfahrten.``Jetzt wallfahren die Inzinger meistens nach Locherboden oder Absam. Alljährlich fahren größere Gruppen mit dem Autobus in weitentfernte Wallfahrtsorte, mitunter auch ins Ausland, so nach Südtirol, nach Bayern, Salzburg und in die Schweiz. Warum soll Frömmigkeit nicht mit Freude und Frohsinn verbunden sein?
Regelmäßige Bittgänge führten die Inzinger zur Geistbühelkapelle in
Zirl, zum Kalvarienberg, nach Martinsbühel, Ranggen, Hatting, Flaurling,
Pfaffenhofen, Rietz und Reith.
Vom ,,Reitherkreuzgang`` wissen die Alten nur von Erzählungen ihrer Vorfahren. Die Bittgänge nach Rietz (jeweils am 13.Juni), nach Zirl (am Kreuztag) und nach Martinsbühel (11.November) fanden noch in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts statt.
Der vorhin erwähnte Anton Schatz erinnert sich noch daran, daß er um die Jahrhundertwende als ,,Ministrantenbüabl`` mit dem Kreuz nach Rietz ging. Dabei trug er - wie es in kinderreichen Familien damals überall gebräuchlich war - die Schuhe seines älteren Bruders. Er hatte auf dem Rückweg in Hatting seine Füße so wund und voller Blasen, daß er nicht mehr weiter konnte. Mit einer ,,Radlböga`` brachte man ihn heim.
Ein Auszug aus dem Verkündbuchfür das Jahr 1865, den mir Hochwürden Pfarrer Knabl zur Verfügung stellte, zählt viele Prozessionen und Bittgänge auf:
,,Der Gemeinderat beschloß, Hochwürden Pfarrer zu bitten, daß die Bittgänge außerhalb der Gemeinde wegen schwacher Beteiligung und allfälliger Zwistigkeiten aufgehoben werden mögen. Diese Bittgänge sollen in Zukunft zur Toblater Kapelle, zur Johanneskapelle und Muttergotteskapelle abgehalten werden; es sei sicher eine bessere Beteiligung und Andacht zu erwarten.``Vermutlich unterblieben nun bald die Bittgänge nach auswärts. Sicher kürzten unsere Vorfahren die Kreuzgänge an den Bittagen nach Pfaffenhofen und Ranggen nunmehr zur Vierzehn-Nothelferkapelle in Toblaten und bis zur Rangger Kapelle ab.
Auch für andere nach auswärts führende Kreuzgänge besuchten die Inzinger nun heimische Kapellen, am Markustag (25.4.) statt nach Hatting die Muttergotteskapelle (Rangger Kapelle).
Nur den Kreuzgang nach Hatting am Sebastianstag
(20.Jänner) halten die Inzinger noch ein. Dabei wird die Sebastiansstatue
mitgetragen (Erinnerung an die Pestzeit).
Die Schulkinder gingen mit den Lehrpersonen noch in den dreißiger Jahren am Schmerzensfreitag auf den Zirler Kalvarienberg. In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft unterblieb der Gang zum Kalvarienberg und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr aufgenommen. In früheren Zeiten - nach 1918 nicht mehr - erhielten die Schüler bei der Heimkehr im Gasthof Klotz ein ,,Kracherl`` (Limonade).
Heute gibt es im Dorfgebiet noch folgende Kreuzgänge: In der Bittwoche
vor Christi Himmelfahrt am Montag zur Rangger Kapelle, am Dienstag
nach Toblaten und am Mittwoch zur Johanneskapelle am Toblatnerweg; in der Fronleichnamswoche zu den Feldkreuzen mit
Evangelienverlesung; am 1.Mai zur Kapelle nach Toblaten;
am Johannestag (16.Mai) wieder zur Johanneskapelle; am 2.Juli
(Maria Heimsuchung) nach Hof oder Eben.
Der letzte Bittgang wird allgemein Bergsegen genannt. Früher besuchten die Gläubigen auch die Kapelle von Gigglberg und Weiler Mühltal. Bei der Überquerung des Enterbaches blieb der Priester auf der Mühltalbrücke stehen und erteilte, gegen die Klamm gerichtet, den Wettersegen. Seit zwei Jahren führen die Bittgänge abwechselnd nur nach Hof und Eben; dort liest der Geistliche in den Kapellen eine hl.Messe.
Man vermutet, daß der Bergsegen an die Rückkehr des Gnadenbildes aus Kaltenbrunn erinnert. Das geschah in der ersten Junihälfte des Jahres 1686. Der 2.Juli ist der erste Muttergottesfeiertag nach der Aufstellung des Mariahilfbildes in unserer Kirche.
Nach dem Verkündbuch von 1865 erfolgte der Bergsegen am 26.Juni und nicht, wie heute üblich, am Mariaheimsuchungstag. Das ist merkwürdig. Dieser Muttergottestag galt den Inzingern als verlobter Feiertag. Sie hielten ihn in hohen Ehren. Von Erzählungen alter Leute wissen wir, daß Pfarrer Waibl (1901-1915) - wenn es unbedingt sein mußte - lieber an einem Sonntag das Arbeiten erlaubte als am 2.Juli.
Am 2.Juli abends führte bis nach Kriegsende 1945 ein Kreuzgang zur Dorfkapelle (,,Klotzkapelle`` an der Salzstraße). Dabei trug man die Fahne des Jungfrauenbundes mit. Dieser Kreuzgang muß wegen des starken Verkehrs seit mehreren Jahren unterbleiben.
Auch aus anderen Orten kamen Bittgeher zu unserer Kirche, so die Zirler
am Peterstag (29.Juni) und am Veitstag (15.Juni); diesen Bittgang
unternahmen die Zirler seit 1670 nach Pfaffenhofen; 1902 wurde er
bis Inzing abgekürzt und seit 1908 unterblieb er ganz. Auch am Peterstag
kamen die Zirler nicht mehr. Bis zum Murbruch 1879 hielten die Telfer
jährlich einen Kreuzgang nach Inzing, dem sich auch Gläubige der anderen
Salzstraßendörfer anschlossen. In alten Zeiten gingen die Inzinger
den Telfern entgegen und zogen dann mit ihnen gemeinsam zur Wallfahrtskirche.
Aber auch hernach kamen die Telfer noch manchmal und baten um günstiges
Wetter für ihre Feldfrüchte. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben sie
aus.
http://www.pisch.at/Ernst/Wissen/Dorfbuch/Dorfbuch.html